Donnerstag, 7. Mai 2015

Der Riss

ich war fünf Jahre alt,
vielleicht auch noch vier.
Mein Vater und meine Mutter hatten einen
Schrebergarten
gemietet in der Nähe des
Sportplatzes.
Man ging ein paar Stufen runter,
die Parzellen waren
ringsum von dichtem grünem Wald
eingeschlossen.
Ein hoher Stacheldrahtzaun umgab das
Gelände.

In der Nähe war der Truppenübungsplatz,
man hörte
Geschützdonner,
auch am Sonntag.

Es war Sonntag, ungewöhnlich heiß.

Mein Vater hatte sein enges, blaues,
kragenloses Hemd aus Polostoff an und
grub stoisch mit dem kleinen, aber scharfen Spaten
die Beete um.

Obwohl er nicht sehr groß war,
sah er aus wie ein starker Mann,
mit seinem Bart, seinen Bizeps
und seiner schlechten Laune.

Ich hatte Durst, aber es gab nichts zu trinken.

Ich langweilte mich.

Ich wollte auch etwas machen.

Ich nahm mir den
Seitenschneider,
den er mir morgens stolz demonstriert hatte,
schlich mich in den mit hohen Gräsern bewachsenen Graben vor dem Zaun
und begann diesen
durchzuschneiden,
Draht für Draht.

Bald hatte ich ein großes Loch hineingeschnitten.
Ich ging hindurch und lief runter zu dem kleinen Bach
in dem Waldstück neben den
Gärten und spielte dort eine Weile am
kühlen
Wasser.

Als ich zurück kam sah mich Herr Brenkmann,
der auf der benachbarten Parzelle stand und
rauchte.

"Hey, hast du das Loch in den Zaun geschnitten?"

Er konnte es nicht fassen.

Ich log nie und sagte "Ja!"
und rannte zu meinem Vater.

Mein Vater sah das Loch im Zaun, auf das der Nachbar deutete und wurde
unglaublich wütend.
Völlig verzweifelt schlug er mich immer wieder auf den
Hosenboden.
Ich machte keinen Mucks,
vor anderen weinen,
das macht kein
Indianer.

Mein Vater kam aus ärmlichsten Verhältnissen.
Seefahrer.
Schiffsköche.
Besitzlose Kleinbauern, die für jemand Reiches
eine Stückchen Land
bewirtschafteten.
Leute, die an Krankheiten starben, die durch Mangelernährung hervor gerufen wurden.

Mein Vater war so stolz, dass er der erste in seiner Familie war mit einem Haus.
Mit einer schönen Frau.
Mit einem Schrebergarten.
Kindern, dies besser haben sollten.

Er schämte sich für mich.
Er schämte sich vor den anderen Nachbarn, die jetzt am Zaun standen und das Loch begutachteten.

Er hatte ein
böses Kind
hervorgebracht.

Ich lief davon,
versteckte mich in dem frisch grün gestrichenen Schrebergartenhaus,
das er selbst gebaut hatte.

Es war das armseligste auf dem ganzen
Gelände.

Ich verkrümelte mich unter der Werkbank
bis es dunkel wurde.

Dann kam er rein und sagte kein Wort.

Ich kroch hervor und wir gingen nach
Hause.

Er hatte Mutter nichts gesagt.

Und ging nur noch selten in den
Garten.





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