Mittwoch, 23. Dezember 2020

Heiländerin

 Ich sehne mich nach dir,

will meinen Kopf auf deinen warmen Bauch legen,

deine Hand führt meine Hand auf deine Brüste und ich spüre, wie diese

sich hin zu mir wölben,

so wie dein klug pochendes

Herz.

Ich strecke mich, ich darf,  

deine feine Stimme flüstert mich in 

die sibirische Schneenacht,

wo wir an einem Feuer liegen,

während es draußen schneit

(hier regnet es immerfort)

und unsere nackten, warmen Körper sich 

ineinanderkeilen,

eine Jahreszeit lang, 

ohne je zu ermüden.

Ich sehne mich nach dir, nach deinem Trost und deiner

Zuversicht, wenn alles verloren ist,

und alle anderen nur klagen, 

nach deiner Klugheit, die umherschweift wie ein Polarfuchs 

in einer stillen weißen Stadt,

nach deiner

Schönheit, die leuchtet, 

unter mehreren  

Lagen Parkas, 

damit du nicht frierst, wenn du durch die Stadt braust und die Menschheit

versorgst mit 

dem, was sie entbehrt in diesen Zeiten und jenen davor, sowie den kommenden,

Liebe.





Dienstag, 15. Dezember 2020

Blutung

Sie nahm meine Hand, sah mir in die 

Augen und sagte

"Meine Oma blutet, es hört nicht auf."

Seit Tagen verlor sie Blut.

Krebs im Endstadium.

Tumore im ganzen Körper.

Die letzten Tage hatte die Oma stark an Gewicht verloren.

Es war auch schön, weil sie wieder aufstehen und 

umherlaufen konnte, sagte sie.

Sie war hell und klar,

- ist hell und klar.

Ich hätte sie gerne einmal getroffen.

Würde sie gern einmal treffen.

Auch wenn sie mich nicht verstehen könnte.

Ihre Enkelin und ich kannten uns schon so lange, aber ich hatte die wichtigste Person

in ihrem Leben

nie getroffen.

Die Oma hatte sie aufgezogen, als ihre Mutter wegen

psychischer Krankheit ausfiel.

Die Oma hatte sie in einem anderen Land beschützt, versorgt,

ernährt, getröstet, gelehrt, ausgeschimpft und immer geliebt.

"Es hat keinen Sinn, sie wieder ins Krankenhaus zu bringen"

sie drückte meine Hand und sah mir fest in die Augen,

"sie ist 84".

Die Oma verblutet langsam.

Aller Lebenssaft läuft aus ihr heraus.

In einem Hochhaus am Rande der Stadt, nicht weit vom Fluss, im 10 Stock.

Ihr dementer Mann neben ihr und eine fremde Pflegerin,

mit der sie nicht sonderlich gut auskommt, deren Sprache, sie aber immerhin

versteht.

Draußen Regen, Lockdown, die Stimmen deutscher Menschen, deren Sprachen nie lernte.

Der wichtigste Mensch in deinem Leben.




Sonntag, 13. Dezember 2020

Geburtstag

Welche deiner Geburtstage erinnerst du?

Wenige.

Den mit den anderen Grundschulkindern, damals in der Ghettosiedlung,

als alle neidisch waren, dass meine Eltern eine schöne, helle

Wohnung mit Büchern hatten. Dass der Ton freundlich war und niemand sturzbetrunken

und gewalttätig. Man stellt mich in die Mitte zu einem Foto und man konnte sehen,

dass ich stolz war. Aus mir könnte was werden. Niemand mochte mich, aber es fühlte sich

trotzdem gut an.

10 Jahre später im Einfamilienhaus im Akademikerghetto mit den Kindern aus der

Nachbarschaft, als ich versuchte, Sketche aufführte mit den anderen, aber niemand 

mochte mein Spiel und meine Idee und meine Elterns schämten sich für mich und 

wollten, dass ich aufhöre. 

Das war übel, aber sofort haben wir etwas anderes gespielt, mit Fangen, Waffen und

Süßigkeiten, das war dann 

weniger unangenehm für alle.

Mit 28 draußen im Winter, zu Gast in der Stadt, in der ich

die meiste Zeit meines Lebens verbrachte. 

Es war kalt und es fiel Schnee. Mein Sänger und mein Schlagzeuger

waren bei mir, ich hatte keine Bleibe, wusste nicht, wo 

ich übernachten würde aber das kümmerte mich 

nicht und wir gingen in einen Club und schauten uns den Auftritt einer britischen

Punkband von 1977 an. 

Ich zahlte den Eintritt für uns drei. Keine Geschenke.

Dann in der Altbauwohnung mit den hohen Decken, einige Größen aus der

TV-Branche waren da und meine Brüder so irre neidisch, aber dennoch alle sehr betrunken

und ausgelassen und bereit, Grenzen zu überschreiten, 

ich tanzte irgendwann zu HipHop und das ging gut, besser als zu diesem Rock, der

den ganzen Abend lief.

Und nun, mit 54 in der großzügigen Wohnung am Parkrand,

morgens die ganzen What' s Wappen, die eingehen und immer schreiben alle, ich solle mich

feiern lassen, 

was schwierig ist, wenn man niemanden einladen darf und die Familie

einfach nur sehr wenig Lust auf meine Gesellschaft hat.

Der Versuch, die Familie zu einem Spaziergang im Wald zu überreden, klappt,

weil ich das Auto organisiere, das Essen und die Route planen muss.

Aber wir kommen nicht weit, weil jeder etwas anderes machen möchte und

der große Sohn nicht meine "beschissenen Kommentare zur Kack-Geschichte des Ortes"

hören will - herausgeschrieen, vor anderen lächerlichen Wanderern.

Ich geb' auf. Fahre alle wieder nach Hause und tippe das hier.

Allein.

Wie ich sein sollte.

Happy Birthday to me.