Freitag, 29. Dezember 2017

Dezember

Draußen das dröhnende Faltrohr des Trockengebläses, das aus
dem frisch zementierten Luxuswohnblock
führt.

Schneeflockengestöber.

Frühe Dunkelheit.

Parkapassanten.

Motoren.

Winter.




Mittwoch, 27. Dezember 2017

Christmas

betäubt
von der Härte
der Menschen,
starrte ich auf meinen
Sohn, der eine komplizierte Maschine aus
buntem Plastik
zusammenbaute.

Bis seine Mutter ihm riet, etwas anderes zu tun
und er in seinem Zimmer verschwand
hinter einem knappen Bildschirm.

Und der Andere die Frage stellte,
ob heute wirklich der Geburtstag von Gottes Sohn sei
und warum wir ihm dann nichts
schenkten.




Freitag, 8. Dezember 2017

Kow tow

Ich werde mich dir niemals beugen,
nie in deine Augen
fallen, tiefer als der
Bosporus.

Ich werde es nicht zulassen,
dass du schlecht über mich redest,
einspannst für deine
Zwecke.

Ich werde die Nächte vergessen, wie ich vergessen habe,
zu bereuen,
ich werde die langen, geteilten Stunden und Zigaretten
löschen wie
Daten von einer Festplatte.

Ich werde die Orte meiden, die wir aufsuchten, die langen Küsse in den
Hauseingängen
nie wieder schmecken.

Ich werde noch lange an dich denken.

Und ich werde nie nachschauen, wie du aussiehst,
weil es kein Foto gibt, das dich wirklich zeigt.

Aber solltest auch du an mich denken:

Think something sweet of me!




Schnee, früher


In der schmutzigen, engen, hektischen
Innenstadt
fiel das schwere, weiße Wasser
vom Himmel,
schlug auf
vor den Geschäftsfilialen und taute
sogleich, 
ließ den Fluss in der Stadt
anschwellen.

All das interessierte mich.

Ich renne zum Eingang, und der warme Geruch der Pizzeria
umfängt mich, während ich in meinem Parka, nur halb zugehörig
zu solcher Bürgerlichkeit
gebeten werde, Platz zu nehmen,
und zu warten.

Bist Du schon da, kommt Du noch?

Und dann kommst Du in Deiner wattierten, weißen, durchnässten Jacke
Unbeschützt, kaum bemuttert und bevatert ,
wir beide,
eigenständiger, als wir das je sein wollten,
küssen wir uns,
voller Vorfreude auf einen langen Nachmittag
letztgültiger Gespräche im dichten, warmen
Rauch der Selbstgedrehten.

All die Zeit vor uns.

Die nun vergangen ist.

Wo sind wir?

Wo bist du?


Wo bin ich?




Freitag, 20. Oktober 2017

Politics of love

The way you look at me...

There' s something you know about me, that I don' t know
myself.

I' m not sure if I want to know
about it.

But the more I look at you, the more I learn
about it.

I can still close my eyes
forever.




Donnerstag, 19. Oktober 2017

Oktober

Auf dem Weg
morgens
in der Straßenbahn.

Im stinkenden U-Bahntunnel,
wo ich früher mal nachts saß mit der Gitarre,
betrunken, glücklich, jung,
zog ich mir verschwitzt
im zu warmen Mantel
das Ticket Richtung Hauptbahnhof.

Hielt mich in der vollen Bahn
an der grauen Haltestange
über mir
fest.

Balancierte die hochkant gestellte
Reisetasche.

Etwas kribbelte auf meinem Handrücken.
Ich dachte, "schlechte Durchblutung".
aber es war
mitten im tiefen Oktober
eine fette, schwarze Fliege.

Ich schüttelte sie heftig ab.

Die Umstehenden reagierten nicht.

Mein Herz schlug bis zum Hals.

Blut pumpte durch meinen Körper.

Es wird knapp.

Es ist knapp.




Montag, 9. Oktober 2017

Someday

I' ll remember to forget,
sang er.

Und tat es.

Tauschte die Blicke seiner Söhne und Töchter ein gegen diesen
Nobelpreis,
den er nicht einmal abholte.



Pioniere 2045

"Auf diesem Planeten sind mit hoher Wahrscheinlichkeit
bereits heute
Menschen unterwegs, die nicht mehr sterben werden",
sagte er
und sie blickte ihn an und 
er wusste, was sie sich
nicht
wünschte.



Herbst 17

Die Welt dreht sich nun dorthin, wo wir uns von uns selbst
verabschieden.

Was sag' ich meinem Kinde?



Sonntag, 3. September 2017

Mein Sohn

blickt über die Stadt
vom 12. Stockwerk
des Hochhauses, in dem meine
alte, übergewichtige, kluge,
jedoch
rätselhaft unglückliche
Mutter
lebt.

Er ist seit wenigen Tagen auf der weiterführenden Schule.

Draußen auf dem Balkon
kehrt er
dem
Ende
da drin
einfach seinen jugendlichen,
durchtrainierten,
braun gebrannten
Rücken.



Durch die Zeiten

Sie erhofften sich Glück und Reichtum,
für sich selbst.
Bekamen Krieg,
heirateten,
flohen,
betrogen
wurden betrogen
bauten,
zeugten.
Ihre Kinder erhofften sich Glück und Reichtum
für sich selbst.
heirateten nicht,
flohen,
betrogen
wurden betrogen
mieteten,
zeugten.
Ihre Enkel...



Freitag, 25. August 2017

Dein Blick

Als wir damals jung und voller
Erwartungen
nach Rom fuhren, schrieb ich von Deinem Strahlen,
dem Sonnenkranz Deines Duftes,
ewigen Kategorien,

usw.

Heute sehe ich Deinen Blick auf einem whatsapp-Foto.

Halb geschlossene, schwere Lider, blitzende Augen.

Wie damals!

Kein Lächeln.

Nur Lust.

Wie konnte ich das übersehen?



Oma

Gekrümmt schleppte sie sich die Treppen hinauf
zum Dom.

Wollte unbedingt hinein.

Es war ihr egal, was die anderen wollten.

Ihre beiden Enkel gingen beinahe verloren im Getümmel auf der Domplatte,
sie schaute sich nicht einmal um nach ihnen um.

Sie ging eine Runde, staunte über das Richterfenster und den Goldsarg der
Heiligen Drei Könige.

Stellte dann später fest, dass sicher viele Menschen gestorben wären,
damit dieser Bau vollendet werden konnte.

Das war ihr wichtig:
das alles seinen Preis hat.



Freitag, 7. Juli 2017

Debussy

Der weite leere Horizont
Nordfrankreichs.

Plötzlich sah man diese 
eigenartige Architektur. 

Die Autoroute de l' est war zu Ende,
man war in 
Paris.

Ich wusste aus dem "Zeit"-Magazin,
dass diese Hochhaussiedlung 
"Debussy"
hieß.

Viel später, im Musikunterricht in der obersten Etage der
weiterführenden 
Schule,
spielte unser Musiklehrer uns 
"Arabesque No 1"
vor.

Das Schönste, das ich je gehört hatte.

Die Hochhaussiedlung machte Schlagzeilen mit Ausschreitungen.

Das Klavierstück flog in gleitenden Tonbögen weiter und weiter...
Debussy...

Meine von Ferne schüchtern geliebte Geliebte schenkte mir ein
unverhofftes Lächeln.

Beschämt vor Glück
schweifte
mein Blick nach draußen,
wo sich die grünen Sommerbäume
lautlos 
im Regenwind bogen.

Ein Schaufelbagger hob neben der Straße einen
Kanal aus.

Auf dem Baggerarm stand in schwarzen Lettern "Mengele".

Viele Jahre später erfuhr ich:
Tatsächlich gehörte die Baufahrzeugfirma der Familie des KZ-Arztes.

Die Musik klang langsam aus.

Der Lehrer schwieg.

Wir alle schwiegen.

Der Regen schlug an die Fenster,
schwach hörte man die Motorgeräusche des Baggers.

Debussy.



We' re not gonna mention

Trump.



Donnerstag, 6. Juli 2017

Wo sind wir

an diesem Ort ohne Namen,
dieser Stadt ohne Gesicht
mit den gleichgültigen,
fröhlichen Menschen?

Wo sind wir?

kurz bevor das, was kommt
kürzer sein wird, als das,
was
war?

Was war.



Samstag, 24. Juni 2017

Hitze

Der große Sommer von 1976
war für uns Kinder ein Segen.

Die Erwachsenen erloschen unter der sengenden Sonne
und wir Kinder huschten als flinke Schatten
unerkannt durchs Dorf.

Klauten Kirschen und kalte Cola.
Übten ungeschickt Küssen.
Verschwanden in hohen Kornfeldern,
dunklen Wäldern,
schleuderten auf den langen Schaukeln
in den ewig blauen Himmel.

Sich selbst überlassen im Hitzetraum unvergänglicher Kindheit.

Paradies.



Mittwoch, 7. Juni 2017

Bewildered

My father looked
bewildered
when I found out
he had three more kids with this
beautiful black woman.

He turned right, turned left,
didn' t know what to do or what to say.

He was his usual strong, painful
self
in this dream
I had.

But what was most comforting:
the fact, that I didn't care about any of
those strange news I just learned, I was just happy
to
see him,
hear him.

Be close to him.



Shades

Und so ertragen wir,
dass alles stets so endet, wie es
sich ankündigt.

Blicken in die Menschen und sehen
wie sie sein werden.

Trockener Wind treibt Blütenstaub in
tränende Augen.

I think, I need my shades.



Montag, 5. Juni 2017

Blick aus dem Zugfenster

So lasst uns hoffen,
dass zumindest an einem jener
herrlich klaren
Wintermorgen,
die kerzengerade
majestätisch 
aus weißer Schneelandschaft 
in den heiligblauen Himmel aufsteigende 
Rauchsäule
den Mitarbeitern der
Schutzstaffel
leise Zweifel
abgerungen hat.



Deine Hand

tagsüber streiten wir oft.
Wir schaffen unseren Alltag nicht
und geben uns gegenseitig die Schuld.

Verloren im Familienwahnsinn.

Schreie, Ohnmacht.

Nachts,
wenn ich spät zu Bett komme,
schiebt sich deine warme, gute Hand unter meine harte Schulter.

Stärker vereint als in den
wilden
Vereinigungen früher:
wir zwei,
die wir niemanden haben, außer uns und den Kindern,
die wir niemals
verlassen
dürfen.



Heimat again

Graue Wintertage,
allein verbracht
entlang des Flusses,
das grün-graue
Moos
auf den nassen Felsen der
Flusshänge,
Eisschollen auf dem dunklen Wasser,
beißender, tröstender
Zigarettenqualm
im Mantelkragen,
ein Stift,
Papier,
mehr brauchte es nicht
in den Achtzigern
für einige handfeste,
suizidale
Ideen.