Donnerstag, 16. April 2015

Zigeunerin

Sarah
war bei mir in der 1. Klasse
damals,
auf der Grund- und Hauptschule.

Die meisten Kinder, die dort hingingen,
stammten aus einfachen, man könnte auch sagen:
armen und kaputten Familien
und Soldatenfamilien,
was ungefähr auf das Gleiche hinauslief.

In der Pause war es besonders schlimm.

Ich war ein schneller Läufer und konnte mich
in Sicherheit
bringen vor den Viertklässlern, die die Schwächeren verprügelten
und in den Mülleimer steckten.

Aber die Erstklässler waren auch gemein.

Zum Beispiel zu Sarah.

Sarah hatte dichte, lange schwarze Haare.
Sie trug Ohrringe.
Sie war hübsch.
Und sie schien aus einer Familie zu stammen, die nicht kaputt war.
Sie war anders.

Und die Anderen merkten das:

„Zigeunerin“
„Fotze“
oder auch
„Zigeunerfotze“

wurde sie genannt - in der Pause spielte niemand mit ihr.
Da ich auch niemanden hatte, stellte ich mich manchmal zu ihr.
Und wurde deshalb immer schon bald
in den Mülleimer gesteckt.

Ich wusste nicht, was die Wörter bedeuteten,
die sie zu ihr sagten.
Zigeuner kannte ich,
die kamen im Sommer und verkauften Teppiche und meine Eltern ließen sie
manchmal
in die Wohnung.
Ich verstand nicht, warum dass das ein Schimpfwort ist.
Das andere Wort kannte ich nicht.
Ich hörte es so oft – ich wollte es nicht kennen.

Sarah kam
trotzdem
jeden Tag mit offenen, schwarzen Haare und goldenen Ohrringen
In die Schule und
weinte nie.

Im Turnunterricht wurden ihre Sachen versteckt und sie musste in Ballettschuhen
in die Pause.
Sie wurde erst ausgelacht und dann
geschlagen
wegen der Schuhe.

„Zigeunerfotze!“
„Zigeunerfotze!“
„Zigeunerfotze, hahahaha!“

Ich stellte mir vor, dass ihr Eltern in einem Wohnwagen lebten und Teppiche verkauften und beneidete sie.

Aber nachdem ich mehrfach versucht hatte,
mit ihr zu sprechen
(Sie war wirklich schön!)
und immer wieder verprügelt oder in den
Mülleimer gesteckt wurde
(„Wer mit Zigeunern spielt, gehört in den Müll!“)
gab ich es auf, einen günstigen Moment
abzupassen und zu fragen,

ob das überhaupt stimmte,
mit den Zigeunereltern.

Später hatte ich keine Gelegenheit mehr dazu.

Sarah wechselte noch vor Ablauf des ersten Halbjahres
die Schule.






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