Samstag, 31. Oktober 2020

Das größte Drama aller Zeiten

Mein 7jähriger Sohn und ich

fuhren durch den leuchtenden Herbsttag mit den Rädern zurück aus der Stadt

nach Hause.

Durch den weiten, verwilderten Park neben der

Bahnlinie.

Plötzlich bog er ab und ich sah ihn mit seinem langen blonden Haarschopf 

den Steilhang neben den Gleisen

hochrasen,

wo dichte Hecken sind und oft seltsame Gestalten herumlungern

und man von unten nicht sehen kann, was vor sich geht.

Ich wendete und folgte ihm.

Fuhr am Hang meinen Reifen kaputt.

Konnte nicht weiter.

Ich hörte seine Stimme von weitem:

"Kommst du, Papa?!"

"Nein, mein Rad ist kaputt! Wartest du?!"

Keine Antwort.

Ich ging hoch, um zu schauen, wo er steckte.

Weg.

Ich folgte dem Weg, den er nehmen würde.

Nichts zu sehen.

Irgendwo weit hinten ein Junge auf einem Rad, mit Helm. Er näherte sich.

Erleichterung.

Aber es war nicht mein Sohn.

Ich war ratlos.

Er war nicht da.

Eben war er da, wir hatten einen schönen Tag in der Stadt,

er durfte sich etwas Süßes am Kiosk kaufen, 

wir suchten ihm eine Lokomotive für die Eisenbahn aus.


Jetzt war er weg.

Nicht da.

Nirgends.

Die weite Ebene wie leergefegt,

gleichgültig von der Herbstsonne beschienen.

Plötzlich der Schock: "Was wenn er mitgenommen wurde?!"

Ich schob mein Rad weiter Richtung Stadt.

Beunruhigt.

Als Kind malte ich mir oft aus, was passieren würde, wenn mich jemand

mitnehmen würde.

Ich dachte mir Szenarien aus, wie ich entkommen würde.

Ich fühlte mich vorbereitet, damals.

Ein Kind kann böse sein und ungehorsam, 

aber nicht berechnend.

Es kann die unendliche Bösartigkeit der Erwachsenen nicht ermessen oder erahnen.

Jedenfalls, wenn es behütet aufwächst.

Ich würde für immer,

bis ans Ende meiner Tage

immer gut zu ihm sein.

Ihn gut behandeln.

Ihn niemals allein lassen, 

wenn er es nicht wollte.

Niemals schimpfen, Unmögliches fordern.

Ich würde der beste Vater der Welt sein.


Die Familie würde Auseinanderfallen über die Schuldfrage.

"Wieso hast du denn nicht gründlicher gesucht?"

"Wieso bist du nicht gleich zurückgefahren?"

"Wieso muss uns das passieren?"

"Du warst immer schon nachlässig und leichtsinnig!"

Würde ich mich umbringen?

Das würde dem Großen den Rest geben.

Weitermachen mit einem schwarzen Schatten auf der Seele,

bis zum Tod.

Immer das strahlende kleine Gesicht vor Augen, die laute, klare Stimme

im Ohr.

Dann der Anruf:

"Papa? Ich bin schon zu Hause, ich wollte schnell anrufen, damit du dir keine Sorgen machst

und nicht die Polizei rufst!"

Ich schaute auf die sonnige Ebene mit den kleinen Bäumen,

vereinzelte Menschen, einige mit Hund,

Kinder, Erwachsene, Tiere.

Die Erde war ein Paradies.





Freitag, 30. Oktober 2020

Maligne

Der gelbe Klinikklotz aus den Fünfziger Jahren.

 

Draußen ein lang erwartetes Gewitter,


das den Park rund um die Klinik 


flutet.

 

Der Sommer versinkt in breiten Pfützen.

 

Unterm Vordach vor dem Haupteingang


blasen


Patienten in Bademänteln


Rauch


in die dichten Regenschwaden.

 


Eine Frau im Rollstuhl spricht mit ihrer Tochter.

 


Autos zischen vorüber und


das Rauschen der Regenbahnen 


übertönt wieder


alles.

 


Oben im Zimmer liegt ein Mann, der die Diagnose bekommen hat,


die ich hätte bekommen sollen.

Kosmos

 Stern für Stern schält sich

aus dem kosmischen Staub 

der Ewigkeit

 

und scheint silbern auf deine

makellos glatten Beine.

 

In deiner schwarzen Sonnenbrille

spiegelt sich das Mondlicht.

 

Und dein Lächeln 

triumphiert.

Einfach so

 kam es aus meinem Mund:

"Ich will mich nicht länger von dir anschreien lassen"

Obwohl:

so laut war sie nicht.

Und ich war,

wie meistens,

auch nicht sonderlich klug.

Dumm, könnte man schon sagen.

Aber so ist es,

manchmal spricht man eine Wahrheit 

auch mal 

im unpassenden Moment aus.

Mittwoch, 28. Oktober 2020

An der Schwelle

In meinem Bauch

drückende Schmerzen.

Mehrere Entzündungspunkte.

Morgens,

mittags, manchmal abends.

Es könnte final sein.

Im Frühjahr gab' es eine unklare Prognose.

Dann die OP im Sommer wegen einer Krebsdiagnose,

die sich als falsch herausstellte.

Das könnte jetzt 

das sein, was die OP im Sommer

nötig machte.

Es fühlt sich an, als wäre es klug, 

irgendetwas zu ändern.

Sonntag, 25. Oktober 2020

Herbst 20

Nachts,

an der Kreuzung 

zur Kanalstr.

wartete ich, dass das Grünsignal

kommt.

Es dauerte.

Autos rauschten vorüber.

Ein LKW.

Mehr Autos.

Schattenrisse, 

ohne Bedeutung  

für mein Leben. 

Ich war allein unter den rasch dahinziehenden

Wolken des

Nachthimmels.

Niemand erwartete mich.

Jäh raschelte trockenes Laub über den Asphalt

und starker Wind kam auf.

Blies mir in den Rücken,

zerrte an meiner Herbstjacke,

drängte mich vorwärts.

Dankbar überquerte ich die Straße,

bevor der Winter anbricht.