Mittwoch, 23. Dezember 2015

Orte

Ich wusch dem Kleinen
das Gesicht
mit einem Waschlappen, schaute
dabei kurz zur Seite
in die Vergangenheit
an einen Ort, an dem ich an einem grauen Wochentag stand und
nichts passierte,
es war an einer
Autobahnraststätte
im Norden Frankreichs
in den Achtziger Jahren.

Er fiel fast vom Kinderschemel und ich war sofort wieder
da.



Dienstag, 22. Dezember 2015

Geld

Noch heute weißt du genau,
wie viel Kohle dieser legendäre Kölner Partyveranstalter
damals,
vor 23 Jahren,
genommen hat, wenn er für einen großen TV-Sender
Event-Parties organisiert hat.

Eine Summe im sechsstelligen Bereich.

Für ca. 14 Tage Arbeit.

Du weißt genau, was er verlangt hat und was er versteuert hat.

Nichts.

Er wurde erwischt.

Zahlte nach.

Lebt heute auf Ibiza.

Du hast diese ganzen Häuser...

Wer sind diese Leute, für die Besitz alles ist?

Wer sind diese Leute, wenn der Besitz
dann
weg ist?



Freitag, 18. Dezember 2015

Kriegsschäden

Silbergrau gewölbte Dezember-
wolken
über den Neonpeitschenleuchten
auf dem Parkhausdeck.

Fleckiger Beton, bemoost, der Traum von Gleichheit aus den Siebzigern,
der Traum von Gemeinschaft,
von Zusammenhalt,
er hielt dem Winterwetter
nicht stand.

Mit schmerzendem Schädel
und Leere in der Brust
tragen wir die
in unsere DNA gebrannten
seelischen
Kriegsschäden
unserer Vorfahren
weiter und
weiter und
weiter.



Sonntag, 13. Dezember 2015

Aging

My chest hurts,
might be the heart.

My clock is ticking but I' m not afraid.

I' ve felt the rain.

I' ve seen the sun.

Trees.

Animals.

Beautiful eyes.

Mean ones, too.

God' s creation is hell and heaven
in one place.

Nearly perfect.

With or without
me.





Samstag, 12. Dezember 2015

Zuckerberg

What do you call someone who
invests 45 billion dollars
mainly
to stop
the human aging process?

And what do you
call him,
when he' s
succeeded?





Donnerstag, 10. Dezember 2015

Mittwoch, 9. Dezember 2015

Narziss

Wir alle sind uns sehr
wichtig
geworden,
seitdem wir uns der ganzen Welt mitteilen können.

Wie z.B. in diesem Augenblick
ich.

Selbstvergessen bespiegeln wir uns in den Weiten des
Netzes.

Wir haben uns erkannt.

Und werden niemals sterben.

...willkommen in der Hölle.



Dienstag, 8. Dezember 2015

Max Frisch

Wie sehnten wir uns
in den Achtzigern
nach der eleganten,
aussichtslosen,
kühlen
Welt von Max Frisch.

Montauk.

Homo Faber.

Stiller.

Was wollten wir überhaupt in diesen Büchern?

Und jetzt, mit den Auszügen aus dem Berliner Journal, ist alles wieder da.

Der Blick,
der Humor,
die Sätze, die man gerne anstreichen würde.

Beim Zahnarzt sitzend lese ich das dünne Buch, das mich als
trotziges Requisit aus anderer Zeit abhebt von den anderen
Patienten
und ihrem starren Blick auf leuchtende
Minibildschirme.

Man taucht ein in eine Welt, in der Literatur etwas gegolten hat.

In der Gedanken Staaten hervorbrachten.

Eine warme, zerbrechliche,
zerbrochene
Welt.





Samstag, 5. Dezember 2015

Deutsche Flüchtlinge

Als die Stimmung gegen die vielen syrischen
Flüchtlinge vor einigen Wochen zu
kippen begann, fingen die
Medien
an,
gegenzusteuern.

Die "Tagesschau" veröffentlichte unter dem Titel
"Flucht aus Europa"
einen Zusammenschnitt,
mit Archivmaterial
von Auswanderern auf dem Weg nach
Amerika und in die
USA.

Unter ihnen viele Deutsche!

Die Argumentation hinkt allerdings etwas.

Behaupten die Nachkommen der
von 18 Millionen auf 250.000
dezimierten
Ureinwohner der USA

Dennoch:

... seid willkommen, Syrer!

Wir brauchen Menschen, die weniger erfolgreiche
Völkermörder sind als wir.



Freitag, 4. Dezember 2015

Ein neuer Anfang

Jeder Tag
ein neuer Anfang.

Was ich noch alles sein könnte!

Heute.



Baden-Baden

Tiefe, sternlose Nacht.

Ich öffnete das Fenster meiner Dachkammer und hörte nur
Stille.

Ich stellte mir die reichen Menschen vor, die sich irgendwo
amüsieren.

Angeblich soll es einen Tunnel geben von dem teuersten Hotel des Ortes in das einzige
Bordell.

Tagsüber die verwelkte Frau Ende 40 mit dem russischen Akzent in dem
Touristencafé. Was wollte sie noch hier? Welche Geschichte wartete auf sie?

Hier.



Mittwoch, 2. Dezember 2015

Kill mortality

Right now
we have a reason why we should understand each other and get along.
Why we shouldn' t take everything so hard.
Why we should forgive and
why we hope:
It' s because we think
we' re all gonna die.

But very soon,
driven forward by men
(only men)
who have suffered as children,
dont´ t believe in anyything as adults and are
incredibly rich and powerful,
this will change.

Their aim is
to kill
mortality.

But what they' re really gonna kill is
humanity.



Your book

You said you have finished your novel.

And
I haven' t asked
what it is about.

Because I was too scared
that it is dull.

Which it probably is
but that' s what the market
wants.

Believe me,
I want you to succeed
in everything you do,
so your envy won' t
kill our
friendship.

But someday
you should write an honest book
that' ll last.

That' s success.

Ask Fante.

Ask Kleist.



My future

Only in the morning,
when everyone has left the house,
I am who
I really am.

While trying to catch up some
sleep
I can
see my future
in my dreams.

I wake up.

And don' t want to
step into my real life.

Which is a
good
life,
full of conflicts and
love.

Maybe
that' s why I want to stay in my dreams.

No conflicts,
no love,
no obligations.

Just...



Dienstag, 1. Dezember 2015

Weihnachten mit den Lieben

Wieder, wie schon letztes Jahr und das Jahr
zuvor
telefonieren wir wegen 
Weihnachten, Mutter.

Du kannst nicht kommen,
wir wohnen ja in der dritten Etage und
die drei Stockwerke kannst du nicht hoch gehen,
das wäre zu beschwerlich.
Du könntest fallen, dir etwas brechen und wärst nicht in der Lage erneut nach Berlin zu reisen oder auf die Kanaren, wie mindestens 
zweimal 
jedes Jahr.

Aber du willst auch nicht, dass wir kommen, das wäre zu viel
Stress
für uns.

Mit deinem Sohn, der in unmittelbarer Nähe wohnt und ebenfalls
ein
Kind hat,
möchtest du ebenfalls nicht feiern.

Du weißt nicht, ob zu deinem dritten Sohn fährst, der Rückenprobleme hat
und
deine Hilfe braucht.

Vielleicht, vielleicht nicht.

Es ist ungewiss.

Wie so vieles im
Leben.

In dem nur 
eines
gewiss ist.



Die Last der Vergeblichkeit

Ich war 10, vielleicht 11 Jahre alt.

Ein unglückliches Kind mit einer dicken Brille,
einem löchrigen Topfhaarschnitt und einem hässlichen Parka
von meinem reichen Cousin aus Düsseldorf,
dessen abgetragene Kleider
einen Großteil meiner 
von anderen Kindern verlachten
Garderobe ausmachten.

Ich saß stumm hinten im Auto und Du,
Mutter,
lenktest den Wagen durch den Novemberregen.
Die steilen Kurven hinauf zur Siedlung 
direkt neben der düsteren 
Kaserne aus der 
Hitlerzeit.

Ich kannte die Strecke so gut, noch heute könnte ich 
jeden Meter
beschreiben.

Die Fläche aus braun-gelbem, schmutzigem Laub, die den Hang 
hinauf wucherte
neben dem grob geteerten Bürgersteig,
der schmale Asphaltweg, der am Hang entlang in die
Kleinstadt 
führt.
Die Peitschenleuchten mit ihrem militärischen, diffus-orangen Lichtkegeln.
Die nassen, schwarzen Gerippe der
verkrüppelten Bäume
in den Haarnadelkurven.

Seit Tagen war es diesig und 
dunkel.

Du, Mutter, in Gedanken Lichtjahre entfernt, 
unglücklich,
abwesend,
kalt.

In dem kleinen Auto der Geruch von Benzin,
billigem Plastik und 
Schimmel.

Stärkerer Regen schlug an die Frontscheibe, die sofort beschlug.

Du fuhrst auch noch durch die nächste Kurve,
ohne den Scheibenwischer
eingeschaltet zu haben.

An jenem Novembernachmittag gab es, 
wie später an 
vielen weiteren Nachmittagen,
wenig Hoffnung.