Montag, 13. April 2015

Grass muss sterben

Mein Deutschlehrer war am Gymnasium als beinharter
Faschist
verschrieen. Was keiner großen Anstrengung bedurfte
in den 80ern, als ungefähr jeder, der beim anderen Geschlecht punkten wollte,
Sozialist
war und jeder, der auch nur mit der CDU sympathisierte, nun mal als
Faschist
galt.

Er war ehemaliger Polizist,
der sich auf dem zweiten Bildungsweg zum Deutsch-
und Geschichtslehrer hoch gearbeitet hatte.
Kam er in den Klassenraum, riss er die Fenster auf und beklagte sich über die
faulen, gammeligen Schüler, die schon mit 16 alle nach Zigarettenrauch riechen würden.

Er hatte keine Freunde an der Schule.
Weder unter den Kollegen, noch in der Schülerschaft.

Er mochte allerdings die Romane und Gedichte von Grass und in der Oberstufe lasen wir die Blechtrommel.
Ich schrieb in einer
Kursarbeit alles über das Werk hin, was man dazu eben hinschreiben können
sollte,
und um ihn zu ärgern,
schloss ich mein 14seitiges Traktat mit einem alternativen Ende des Romans,
in dem der Autor selbst stirbt und das Oskarchen mit der Trommel um den
Toten tanzt und immer wieder krakeelt:
"Grass muss sterben, Grass muss sterben!"
- obwohl er doch da seinen fiktionalen
Tod schon gestorben war.

Der Lehrer gab mir die höchste Punktezahl, obwohl er Grass mochte
und schrieb drunter: "Du solltest Schriftsteller werden!"

Ich war empört, dies ausgerechnet von ihm empfohlen zu bekommen,
dem ich nichts glaubte, und
der uns
Sozialisten
nur quälte mit seinen Ansichten von der Welt.

Wir hassten Konservative und wollten alles ändern.
Demonstrierten gegen den NATO-Doppelschluss und sympathisierten
mit der
DDR.

Der verhasste Lehrer hingegen wettete mit einem der ebenfalls
sozialistischen
Deutschlehrer, dass Deutschland spätestens 1990 wiedervereinigt sein würde.
Es würde einen Volksaufstand geben, die Leute dort würden sich das alles
nicht länger bieten lassen.
Wetteinsatz: eine Kiste Kirner Pils
aus der Kirner Privatbrauerei Ph. & C. Andres GmbH & Co KG,
das damals ohnehin einzige in der Gegend verfügbare Bier.
Die ganze Schule lachte.
Der Lehrer kannte die DDR, da er immer wieder mit Schülergruppen dorthin
Reisen unternahm, von der Konrad Adenauer Stiftung teilfinanziert,
um uns
Sozialisten
zu zeigen,
wie es da wirklich
aussieht
und wie die Menschen dort
wirklich
denken.
Die ganze Schule lachte über diese idiotische Wette, die der verbiesterte Lehrer ohnehin
verlieren
würde.
Seine beiden Töchter, ebenfalls bei uns auf der Schule, wurden noch hartnäckiger von allen gemieden.

1992 bekam mein Deutschlehrer für seine Verdienste um die deutsche Wiedervereinigung
das Bundesverdienstkreuz.

Und der sozialistische Deutschlehrer starb an
Lungenkrebs.

Zu viele Selbstgedrehte.






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