Der Morgen küsst mich wach mit Lippen
Von Dir.
Der Morgen küsst mich wach mit Lippen
Von Dir.
Gestern fielen wir übereinander her
in einem Hotel neben der regennassen Autobahn
in Holland.
Wir fanden ein Zimmer, das nicht abgeschlossen war,
deine Brüste lachten rund und voll,
"wie bei Bukowski" sagtest du,
während ich dich von hinten zum
vierten Mal nahm.
Groß rauskommen bei den Medien
war der Plan.
Dann platzten einige Träume,
Eltern starben,
Nerven versagten,
B-Pläne funktionierten nicht,
Freundinnen zogen in den Speckgürtel,
bekamen Kinder.
Du nicht.
Niemand war sensibel und gleichzeitig klug und frei genug
um mit dir mitzuhalten.
Du bliebst allein.
Wohin mit der Zeit?
Pflanzen, Schrebergarten, Ayurveda.
Und dann sah ich dich wieder.
Das Gesicht etwas faltiger, die einzige offene Kasse
des Biosupermarktes.
Präzise und verträumt wie immer,
viel zu gut für diesen Job.
Ich machte einen leicht anzüglichen Witz,
was ich sonst nie mache,
aber
du hast gelacht wie früher
vor 30 Jahren
in dem Hotel an der Autobahn.
Feine Dämmerung senkt sich
auf uns,
den stillen Wald, das ferne Tal.
Zwischen kerzengeraden Fichten
schwebt leiser Nebel.
Wir stehen reglos und ich spüre
deine Hand in meiner.
Innen leuchten unsere
Novemberseelen.
die Kinderstimmen im Park dringen durch das gekippte Fenster
eine davon die eines meiner Kinder,
Sonne, Herbst,
frische Luft, endlich,
Körper, Kopf,
alles fühlt sich schwer an, endlich.
Kaffee, Müsli, Dusche,
Zeit schmilzt auf Nachrichtenseiten,
der Kulturkampf
zwischen Gestern und Morgen wird
morgen entschieden.
Das Gestern wird verlieren.
Und dann das Morgen bekämpfen.
Und wieder verlieren.
Zum Chirurgen,
es könnte Krebs sein, klar.
Die Arzthelferin schrecklich jung mit engen weißen Hosen,
großen Brüsten, Tattoos, benötigt meinen Pass für die Versicherung.
Das Morgen.
Der Arzt geht gebeugt, er müsste längst in Rente sein, keine Ahnung, weshalb er weitermacht.
Er schaut kurz drauf und weiß sofort:
Es muss operiert werden, schnell.
Die Arzthelferin gibt mir den Pass zurück und wünscht mir alles Gute.
Draußen Licht, Laub, Wind.
Ich miete einen E-Roller,
werde angehalten von einer freundlichen Polizistin,
weil ich gegen die Einbahnstraße fahre.
Ich zahle brav, wünsche ihr einen guten Tag.
Fühle mich überlegen.
Mein Geheimnis ist so stark,
nichts könnte mich erschüttern.
Außer vielleicht,
die Kinderstimmen nicht mehr zu hören.
Niemand vermisst mich, während ich das schreibe.