Sonntag, 23. September 2018

Kunstgeschichte

"Ich bin jetzt Teil der Kunstgeschichte",
sagst du und schaust mich an aus deinen
tiefblauen, tieftraurigen Augen und trinkst einen Schluck
Kräutertee.

Die Haare weiß, sehr kurz,
am Hinterkopf bereits ausgefallen.
Wie bei deinem Vater, der dich,
als du noch schwarzes Haar hattest,
das du lang wachsen ließt,
mit hartem Militärgriff im Nacken packte und übers Klo
zwang,
um mit einer Haushaltsschere
deine Mähne zu kürzen, während Du weintest und fluchtest und deine Mutter
irgendwo im Hintergrund
hysterisch schrie,
was sie ohnehin meistens
und meistens
ohne besonderen Grund
tat.

Dein Sohn, jetzt 16, kann kaum schreiben und liest nicht, sagst du.
Er floh aus dem Internat, nach nur
2 Tagen.

Deine geschiedene Frau, eine blutsaugende, psychotische, anmutige,
ungleich talentiertere Person als du,
hat ihre Kunst
aufgegeben.

Deine Fotos zeigen meist schwarz weiße Ansichten von
zersiedelten Gegenden, Häusern, in denen
sich solche Geschichten nun mal
abspielen.

Aber Du bist nicht mehr Teil dieser,
ihrer,
seiner,
meiner-
ja nicht einmal
-deiner Lebensgeschichte.

Du bist sicher.

Du bist Kunstgeschichte.




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