Dienstag, 9. Februar 2016

Gedicht auf Leben und Tod

Als mein Vater auf der Intensivstation im Koma lag und es danach aussah,
dass er niemals wieder ein funktionierendes Gehirn haben würde,
fragten die Ärzte uns nach einer Patientenverfügung.

Gab es nicht.

Dann fragten sie uns, ob sie ihn reanimieren sollten,
im Falle eines erneuten Herzinfarkts.

Wir stritten.

Meine Mutter war dagegen.
Meiner Bruder war dagegen.
Mein anderer Bruder auch.
Meine Frau sagte, sie hätten Recht.

Ich war der Einzige, der Hoffnung hatte.

Und sei es die Hoffnung auf Heilungsmethoden, von denen wir
jetzt
noch nichts wissen.

Wenige Tage später starb mein Vater an
Nierenversagen.

Was ich nun immerhin weiß:
niemand würde mich zurückholen oder die Last auf sich nehmen, mich
am Leben zu lassen,
sollte mir etwas Ähnliches wie meinem Vater zustoßen.

Meine Mutter nicht.

Mein Bruder nicht.

Mein anderer Bruder nicht.

Meine Frau nicht.

Meine Söhne schon, aber die sind zu jung.

Und eine junge Muslima, der ich mich verbunden fühle,
obwohl unsere Körper einander nie näher gekommen sind als beim Händedruck
zur Begrüßung.

Sie sollte von diesem Gedicht erfahren.





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