Donnerstag, 2. Juli 2015

Personenschaden

Es war sehr heiß.
So heiß
wie schon seit
einem Jahrzehnt
nicht mehr.

Im ICE angenehme Kühle.
Die Klimaanlage funktionierte.
Jeder war darauf eingestellt,
hinter dunklen Scheiben,
mit kühlen Getränken,
eingenistet in digitalen Welten
der Hitze
eine Weile zu
entkommen.

In dem Augenblick, als ich mein Ticket beim Schaffner kaufte, hielt der
Zug.

Er hielt lange und es dauerte lange, bis eine Durchsage kam.

"Wegen eines Personenschadens im Gleis, fährt der Zug zurück nach Augsburg,
wo er aber nicht hält. Anschließend
fahren wir über Donauwörth bis nach Stuttgart.
Unsere Verspätung beträgt zu diesem Zeitpunkt 50 Minuten."

Bis Köln wurden es 190 Minuten Verspätung.

Ich hätte in der Zeit, die diese Reise durch halb Deutschland brauchte, mit dem Flugzeug in die
USA
reisen
können.

Alle fluchten.

Eine überforderte Mutter gab ihrer Schwester alle 20 Minuten
empört den aktuellen Stand der Verspätung durch.

Eine Geschäftsfrau, die zuvor beim Einsteigen auf die höfliche Frage einer älteren Dame, ob sie durchkönne, sehr genervt reagiert hatte,
brach ihre Geschäftsreise
ab.

Ein älterer Mann schüttelte immer wieder stumm den Kopf.

Kinder rannten im Gang auf und ab.

Der Zugbegleiter mit Kölner Akzent klang bei jeder neuerlichen
Durchsage
um wie viele Minuten sich die Verspätung sich erhöht habe,
verzweifelter und
verließ den Zug
in
Mannheim.

Alle waren genervt.

Alle gaben in ihren Telefonaten durch,
dass sich jemand vor den Zug geworfen hätte.
Jeder machte den Witz, dass sich die Person ja auch wirklich einen anderen Tag hätte aussuchen können.

Ich schaute nach draußen,
sah braun glänzende Pferde,
grüne Wiesen,
saubere Städtchen,
dichte Wälder,
Felder,
Maschinen,
kleine Fabriken.

Und dachte über den
Hinweis des Toten
nach,
dass es in dieser hübschen, funktionierenden Welt alles gibt.

Außer Mitleid.





Keine Kommentare:

Kommentar veröffentlichen